KINDERBÜRO IM GESPRÄCH MIT…. GERHARD H.J. FRUHMANN
Wie ist das Kinderbüro eigentlich entstanden? Wer und was hatte Einfluss auf die Entwicklung des Vereins? Hier erfahren wir vieles aus erster Hand über den Werdegang des Kinderbüros!
Lieber Gerhard, vielen Dank, dass du uns heute etwas zur Geschichte des Kinderbüros erzählst. 21 Jahre Kinderbüro – das ist eine beträchtliche Zeit. Wie verlief der Weg zum Kinderbüro in der heutigen Form?
Gerhard H. J. Fruhmann: Anfang der 90er war ich Präsident des Landesverbandes der Elternvereine, gemeinsam mit Frau Ilse Schmid. Die meisten Organisationen, die damals für das Kindeswohl arbeiteten, waren politisch geprägt. Wir wollten uns politisch ideologisch selbstständig machen, frei arbeiten können. Deshalb lösten wir uns als Elternverband von der Zuordnung zu politischen Parteien schließlich los.
Uns war aber klar, dass der Wunsch nach einer kinderfreundlichen Gesellschaft die Zusammenarbeit aller brauchte, deshalb gründeten wir die „Plattform für eine kinderfreundliche Gesellschaft“. Als Treffpunkt nutzten wir Räumlichkeiten der Diözese in der Carnerigasse. Dies ermöglichte uns damals Gemeinderätin Frau Sissi Potzinger, die Präsidentin des Katholischen Familienverbandes. Dort wurde regelmäßig diskutiert, es gab eine große Breite an Themen und Wünschen. Im Laufe der Zeit schlossen sich mehr als 30 Kinder- Jugend- Eltern- und Familienorganisationen aller Couleurs an. Christian Theiss wurde zum Generalsekretär, also zum Verantwortlichen und Sprecher für die Plattform. Er führte auch den Begriff Kinderbüro ein, der aus den USA stammt und dort einen alten und sehr guten Ruf genießt.
Welche Themen wurden innerhalb der Plattform diskutiert?
Es ging um die Weiterentwicklung der Schulen, die Ermächtigung und Partizipation der Kinder, die Qualität von Familie und die Qualität der Erziehung. Des Weiteren sollte ein einseitiger ideologischer Einfluss des Staates auf die Familie vermieden werden. Das gemeinsame Ziel war und ist eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft. Zusammengefasst wurden alle Anliegen 1996 im sogenannten „Buntbuch“, (Redaktion Christian Theiss) für das jede an der Plattform beteiligte Organisation eine Doppelseite mit Zielen und Vorstellungen gestaltete.
Welche Zeiten waren das? Wie sah der gesellschaftspolitische Hintergrund aus?
Gerhard H. J. Fruhmann: 1991 wurde die UN-Kinderrechte-Konvention (1989; The UN-Charta of The Rights of The Child) von Österreich -mit Einschränkungen- ratifiziert. Es war eine Aufbruchsstimmung. Dieses internationale Recht musste dann noch im Österreichischen Parlament beschlossen werden, um nationale Gültigkeit zu erlangen. Auf nationaler Ebene fand die Konvention nur sehr eingeschränkt Niederschlag. Die Inhalte waren sehr neu und mussten erst von uns inhaltlich in der konkreten Bedeutung erarbeitet werden. Dann folgte 1995 der EU-Beitritt: Auch das war ein weiterer Schritt zur rechtlichen Erneuerung Österreichs. Das gesellschaftliche Konzept der EU wurde öffentlich ursprünglich nur auf die Wirtschaft ausgelegt und diskutiert, da wurde öffentlich kaum über Menschen- oder Kinderrechte oder Familie gesprochen.
Wie ging es weiter?
Gerhard H. J. Fruhmann: Wichtig war uns, da wir alle gesellschaftlichen Kräfte einbinden wollten, eine Äquidistanz zu allen politischen Parteien. Um aber unsere Durchsetzungskraft zu erhöhen, und auch um finanzielle Mittel lukrieren zu können, war eine Rechtsform nötig. Deshalb gründeten wir, die Mitglieder der Plattform für eine kinderfreundliche Gesellschaft 1998 einen Verein, der genau genommen ein Verband war, da der Verein selbst Vereine als Mitglieder hatte. Ich wurde Präsident, Christian Theiss war Geschäftsführer.
Wir starteten in Graz, da die meisten Vereine ihren Sitz in Graz hatten, also wurde auch das „Kinderbüro Graz“ gegründet. Eine Ausdehnung auf Steiermark bzw. Österreich war von Beginn an angedacht. Und ich bestand auf die Einführung einer politischen Steuergruppe, um uns auch politisch zu vernetzen. Der erste Fördergeber war die Stadt Graz, die damals zuständige Stadträtin [Anm.: für Soziales, Jugend, Familie und Frauen] Tatjana Kaltenbeck.
Welche waren die ersten Aufgaben?
Gerhard H. J. Fruhmann: Zuerst einmal brauchten wir ein Büro! Die passenden Räumlichkeiten fanden wir in der Radetzkystraße. Dann brauchten wir ein Team, als stellvertretende Geschäftsführerin und Projektmanagerin holten wir die Psychologin Alexandra Pichler (später verheiratete Morak) und als erste Sekretärin Frau Ines Pleschutznig, die bis Ende November diesen Jahers noch im Kinderbüro arbeitete.
Wir starteten mit einer Umfrage unter den Grazer Kindern, was sie bewegt. Christian und Alexandra befragten fast 500 Schulkinder u.a. am Jakominiplatz und in der Herrengasse. Ausgangspunkt der Interessenerhebung des Kinderbüros waren natürlich die Bedürfnisse von Kindern. Auf Platz 1 des Kinder-Rankings für Betroffenheit kam das Thema Verkehr, Straßenlärm und Feinstaub (Auspuffrauch). In erster Linie wünschten sich die Kinder einen schönen, ruhigen und interessanten Schulweg, den sie gemeinsam mit Freunden gehen können. Viele Innenstadtstraßen waren und sind aber ein Horror für Kinder in punkto Lärm, Auspuff und Autoverkehr. Als negatives Highlight für Lärm und Verkehr wurde damals die Neutorgasse zwischen Radetzkystaße und Grazbachgasse genannt. Kinder müssen diesen “Schulweg” fast auf Auspuffhöhe und gegen massive Panikgefühle täglich meistern. Leider hat sich daran bis heute nichts geändert und die Kinder müssen diese oder ähnliche Lärm- und Auspuffstraßen weiträumig meiden und umgehen.
Das Kinderbüro wurde am Anfang auch als Interessensgemeinschaft bezeichnet, noch nicht als Lobby.
Die erste Plakat-Kampagne mit dem Titel „Ist die Kindheit noch zu retten?“ entstand. Hintergrund dafür war die Frage, wie schnell ein Kind erwachsen werden muss, damit es „produktiv“ für die Gesellschaft wird. Und ab wann hat es dann „etwas zu wollen“? In den ersten Jahren Arbeit stieß das Kinderbüro noch auf Widerstand folgender Art: „ Was?! Kinder haben Rechte? Kinder haben Pflichten! Diese sollen sie zuallererst erfüllen!“.
Das Kinderbüro war ja von Anfang an als Mastermind in Sachen kindgerechtes Denken und Umsetzen gedacht, mit dem Anspruch, dass politische und behördliche Entscheider Informationen von Kindern und ihren Bedürfnissen bekommen und dadurch im Umgang mit Kindern auf deren Bedürfnisse besser eingehen können. Von uns konnte und kann man etwas lernen. So wurden wir auch bei der Reform des Jugendschutzgesetztes unter der Landesrätin für Soziales Anna Rieder eingebunden. Es kam auch zu einer engen Zusammenarbeit mit dem damaligen Kinder- und Jugendanwalt Wolfgang Sellitsch.
Wie entwickelte sich das Team weiter?
Gerhard H. J. Fruhmann: Im Jahre 2000 verließ uns dann Christian Theiss und wurde selbst Kinder- und Jugendanwalt. Ich sagte damals: „Wir sind epidemisch, wir breiten uns aus! Wenn unsere MitarbeiterInnen mit der engagierten Einstellung für Kinder etwas zu erreichen in entscheidende Positionen kommen, können wir mehr für Kinder tun und umsetzen.“ Alexandra übernahm die Geschäftsführung. Als Stellvertreter wurde in einer Ausschreibung Bernhard Seidler ausgewählt, 2005 übernahm er die Geschäftsführung des Kinderbüros.
Zur selben Zeit in etwa wurde das KinderParlament gegründet, das wir als Modell von der Schweiz übernommen haben. Für die Leitung gab es zahlreiche Bewerbungen und ich entschied mich für die „stillste“ Bewerberin: Heidi Jursitzky. Die Heidi hört zu! Die Heidi kann Kindern wirklich zuhören.
In den ersten 2010er-Jahren hatten wir fast 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!
Wie wurde dann aus dem „Kinderbüro Graz“ das „Kinderbüro Steiermark“?
Gerhard H. J. Fruhmann: Im Zuge der Gemeinderatswahl im Jahre 2003 wurden dem Kinderbüro die Förder-Gelder gestrichen. Damals hat uns Frau Sissi Potzinger, Präsidentin des Katholischen Familienverbandes geholfen und sozusagen an das Land Steiermark „vermittelt“. Aus dem Kinderbüro Graz wurde das Kinderbüro Steiermark. Ohne diese Unterstützung hätte es das Kinderbüro ab 2004 nicht mehr gegeben. Zuständig war die damalige Landesrätin für Familie, Kristina Edlinger-Ploder. Mit dem Wechsel des Fördergebers ging ein Umzug auf den Nikolaiplatz einher, wo wir bis 2010 blieben. Dann zogen wir zum Karmeliterplatz um, wo Frau Landesrätin Edlinger-Ploder alle Organisationen für Kinder und Jugendliche bündelte.
Wie entstand dann schlussendlich unser heutiges „Kinderbüro – die Lobby für Menschen bis 14“?
Gerhard H. J. Fruhmann: Unter der Landesrätin [Anm.: für Bildung, Jugend, Frauen und Familie] Bettina Vollath wurde die Landesverwaltung reorganisiert. Die geförderten Bereiche wurden genauer abgegrenzt. Unsere vom Land geförderte Zielgruppe wurde auf Kinder von 0 bis 14 Jahre festgelegt, für Jugendliche von 15 bis 18 Jahren wurde dann das „LOGO!“ [Anm.: Jugendmanagement – Fachstelle, die im Auftrag des Landes Steiermark Informations- und Kommunikationsdienstleistungen für Jugendliche anbietet] zuständig.
Das Kinderbüro besteht heute aus über 50 Mitgliedsvereinen und einem interdisziplinären Team. Die letzten Jahre waren wieder sehr dynamisch und erforderten ein ständiges Anpassen des Vereinsprofils. Welche Visionen hast du persönlich für die Zukunft?
Gerhard H. J. Fruhmann: Was das Kinderbüro tun sollte? Sich auf europäischer und internationaler Ebene stärker engagieren. Mein großes Ziel auf internationaler Ebene ist es, das Kinderbüro als „Associated Member of the United Nations“ zu etablieren.
Auf nationaler Ebene bräuchte es mehr Fachleute für Menschen- bzw. Kinderrechte. Die Akademisierung des Themas Kinderrechte wäre sehr wichtig, mit der Einführung eines Kinderrechte Master-Lehrgangs an der UNI Graz bin ich aber leider gescheitert. Das Curriculum des MA-Lehrgangs wurde von mir in Kooperation mit Herrn Prof. Benedek geschrieben und von der Uni genehmigt, (2009) aber der Master-Lehrgang kam mangels TeilnehmerInnen nicht zustande.
Schon lange zuvor zur Jahrtausend-Wende starteten wir eine Ringvorlesung an der Karl-Franzens-Universität Graz, diese lief in etwa 3 Jahre (6 Semester) und war für alle am Thema Interessierten zugänglich. Fast alle maßgeblichen Fachleute und WissenschaftlerInnen Österreichs zu unterschiedlichen kinderrelevanten Themen konnten wir als Vortragende gewinnen.
Ein weiteres universitäres Projekt war später in den 2000-er Jahren, die Kinderrechte und damit eine kinder – und familiengerechte Gesellschaft baulich auch den Architekten und Bauingenieuren nahezubringen und die Lehre im Bauwesen für einige Jahre mithilfe der Vorlesung „Kindgerechtes Bauen“ an der TU Graz kindgerecht mitzugestalten. Es ist auch heute noch sehr wichtig, dieses „Kindgerechte Planen und Bauen” ins Curriculum der Architektur und des Bauwesens einzumahnen und dieses Knowhow zu reaktivieren. Leider ist da nachhaltig (im Curriculum) noch viel zu wenig geschehen.
Das kindgerechte Bauen von Schulen, Wohnanlagen, Straßen usw. beginnt schon mit der Gestaltung der Flächenwidmungsplänen, der Stadtplanung, den geplanten Wohnstraßen, der Ausstattung von Kinderspielplätzen, den Grünräumen in der Stadt, aber geht weiter bis zur genormten Höhe des Handlaufs für Kinder in Stiegen von Wohnhäusern, der Höhe der montierten Klingeln im Hauseingangsbereich, die es auch kleinen Kindern ermöglichen soll, eigenständig wieder ins Haus zu kommen, der Schalldämmung von Pausenräumen, Gängen und Klassenzimmern in Schulen, der Schwere der Eingangstüren in Wohnanlagen und in Schulen, der Größe und farblichen Gestaltung von Lern- und Lebensräumen für Kinder. Da sind teilweise die Ö-Normen im Wohnbau aus Kostengründen noch aus der spartanischen Nachkriegs-Steinzeit. Wir sollten alle beginnen kindgerechte Städte zu bauen und damit auch die Lebens-Räume für die Kinder verantwortungsbewusst neu zu denken und zu gestalten. Natürlich hat dieses Neudenken auch Auswirkungen auf den Autoverkehr, den Grünraum, die Parkplätze und den erlaubten Feinstaub.
Zum Abschluss: Was motiviert dich nach 21 Jahren, dich weiterhin für das Kinderbüro bzw. Thema Kinderrechte zu engagieren?
Gerhard H. J. Fruhmann: Ich werde solange an diesem Thema weiterarbeiten als ich das Gefühl habe, es hilft zumindest einem Kind eine schönere und strukturell förderliche kindgerechte Umwelt vorzufinden bzw. daran mitarbeiten zu können. Ich arbeite daran, dass das was ich in diesem Zusammenhang will, selbständig geschieht und die kindgerechten Kriterien in den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens ins Bewusstsein der handelnden Personen und Entscheider eingedrungen sind. Dazu sollte das Kinderbüro 55 hochqualifizierte MitarbeiterInnen und ein Jahres-Budget von 55 Millionen Euro haben, um alle relevanten Bereiche beratend abzudecken. Wir können dabei nur mit MultiplikatorInnen und Fokusgruppen arbeiten.
Weiters arbeite ich daran, dass dem Kinderbüro die Ausweitung seiner Arbeit auf die nationale und europäische Ebene und auch eine Internationalisierung gelingt. Es gibt leider noch sehr viele Länder, wo das Thema Kinderrechte gesellschaftlich überhaupt noch keine Relevanz hat. Das sollte sich auch durch unsere Arbeit ändern, dazu müssen auch entsprechende Erfahrungen aus unserer Umsetzung in der Steiermark publiziert werden, um interessierten Menschen in diesen Ländern damit Anregungen und Ermutigungen für deren Umsetzung der Kinderrechte zu geben.
Ich bin sehr froh, dass es das Kinderbüro gibt. Kindheit ist die wichtigste Zeit, da werden die Weichen für das spätere Leben gestellt. Wir Erwachsene müssen nur viel mehr auf die Kinder hören, sie ernst nehmen und sie in Entscheidungen, die sie betreffen einbeziehen und damit auch die Grundlage der Demokratisierung der Gesellschaft in allen Bereichen legen. Wir haben schon viel gemacht, haben aber auch noch viel mehr zu tun! Und mit mir ist zu rechnen, solange ich noch arbeiten kann.
Vielen Dank für die gemeinsame Zeitreise!