ExpertInnen-Interview: KINDERPSYCHOTHERAPIE SOLL FREUDE MACHEN! (Teil 2)
Kinderbüro: Welche Rolle spielt das Spielen in der Psychotherapie?
„In der Kinderpsychotherapie ist
Spielen immer wichtig!“
Monika Wicher: Spielen ist ein Teil der Entwicklung im Kindesalter. Es wird angenommen, dass bereits im Mutterleib gespielt wird beispielsweise mit dem Daumen oder den Zehen. Nach der Geburt spielen die Kinder bald mit dem eigenen Körper. Volksschulkinder beherrschen dann schon das ausdifferenzierte Rollenspiel oder Sozialspiel: Kinder denken sich gemeinsam Rollen aus und spielen Szenen. Dazwischen gibt es viele unterschiedliche Spielformen wie das Konstruktionsspiel mit Bausteinen oder „Gegenstände fallenlassen und vom Erwachsenen aufheben lassen“ – je nach kognitiver, aber auch je nach emotionaler Entwicklung.
„Das Spiel ist das
Herz des Psychodramas“
Das Spiel ist jedenfalls zentral für meine eigene Therapierichtung, das Psychodrama. Es ist sozusagen „das Herz des Psychodramas“. Das Spiel im Psychodrama ist eine spezielle Form, es bedarf verschiedener Instrumente wie einer Bühne, den MitspielerInnen, die sogenannten Hilfs-Ichs und einer Leitungsperson.
Kinderbüro: Wie sieht eine „typische“ Therapieeinheit aus?
Monika Wicher: Das kommt darauf an, welche Spielform dem Kind bereits vertraut ist. Es kann sein, dass ein siebenjähriges Kind, das bereits alle Spielphasen bis zum Regelspiel durchlaufen haben sollte, erst sehr frühe Spiele spielen kann. Es hat also noch keine Symbolisierungsfähigkeit, die ich für ein Symbolspiel[1] brauche. Dann beginne ich im Einzelsetting und spiele mit diesem Kind auf der Entwicklungsebene, auf der es sich befindet. Zum Beispiel spiele ich in modifizierter Form Verstecken oder das „Guck guck-Spiel“, später baue ich mit diesem Kind etwas, ein Gebäude beispielsweise.
„Spielen gehört zur körperlichen, sozialen, kognitiven
und emotionalen Entwicklung.“
Über dieses Konstruktionsspiel wird dann langsam das Symbolspiel möglich. Das Kind und auch ich, als „Hilfs-Ich“[2], haben dann jeweils eine Rolle, die das Kind für uns beide wählt. Diese Rollen werden im Psychodrama mit sogenannten Intermediär- und Intraintermediärobjekten besetzt, das sind zum Beispiel Schleichtiere, Fantasy-Figuren, Stofftiere oder Handpuppen. Das Kind „kleidet“ auch meine Rolle ein, es sagt mir, wie ich in der Rolle zu tun habe. So lernt das Kind nach und nach kleine Szenen zu gestalten. In einer frühen Phase nimmt sich das Kind zum Beispiel einen Löwen, gibt mir auch einen Löwen und wir spiegeln uns im Spiel. Wir gehen gemeinsam auf Futtersuche, wir fressen beide etc. Je ausdifferenzierter das Spiel wird, desto unterschiedlicher werden unsere Rollen und desto breiter werden unsere Handlungsmöglichkeiten. Dann können die Kinder in die Kinder-Therapiegruppe übernommen werden. In meinen Gruppen sind durchschnittlich acht Kinder.
Kinderbüro: Wie kann man sich eine Gruppen-Einheit vorstellen?
„In der Gruppe spielen
Kinder und Erwachsene.“
Monika Wicher: Die Gruppe hat eine fixe Struktur: Sie dauert 90 Minuten und besteht aus einer Erwärmungs-, einer oder mehrerer Spielphasen und einer Integrationsphase. Es gibt je eine Person in der Leitung und eine in der Co-Leitung sowie mehrere erwachsene Hilfs-Ichs.
Die klassische Erwärmungsphase (Warming up), die für das Bearbeiten eines Themas oder ein psychodramatisches Spiel notwendig ist, ist bei Kindern eher eine Abkühlungsphase. Kinder stürmen oft voll Vorfreude aufgebracht und aufgeregt in den Gruppenraum. Sie brauchen ein Sich beruhigen (Cool down) um auf ein gemeinsames therapeutisches Arbeiten vorbereitet zu werden.
In der Spielphase übernehmen die Hilfs-Ichs je nach Bedarf der Anweisung der Kinder folgend Rollen. Das heißt sie erhalten vom Kind eine Rolle wie zum Bespiel den Wolf und spielen diesen Wolf so, wie es das Kind beschreibt. Dieser kann dann auch sehr wild sein und alle fressen wollen etc. Jedes Kind spricht seine Rolle und die des Hilfs-Ichs laut aus, damit die ganze Gruppe weiß, wer auf der Spielbühne anzutreffen ist.
„Jedes Kind hat ein eigenes Schutzhaus,
in das es sich bei Bedarf zurückziehen kann.“
Zuerst aber gehen die Kinder noch in ihre „Schutzhäuser“, dabei handelt es sich um vorgebaute, kindgerechte Schutzzonen gebaut aus Sesseln und Decken mit einer Grenze rundherum. Dann heißt es „die Sonne geht auf und das Spiel beginnt!“ Im Raum wird das Licht angemacht und alle gehen in ihren Rollen auf die gemeinsame Bühne. Anfangs wird meist noch in 2er-Gruppen parallel interagiert, im Laufe der Zeit entsteht jedoch ein gemeinsames Stegreif-Gruppenspiel.
Kinderbüro: Was passiert schließlich in der Integrationsphase?
Monika Wicher: Nach ungefähr 60 Minuten gibt es eine Pause in der wir gemeinsam jausnen. Dann wird das sogenannte „Rollenfeedback“ eingeholt, bei dem ich als Leiterin jedes einzelne Kind frage, wie es in der Rolle war bzw. wie es sich in der Rolle gefühlt hat.
Aus der Beobachtung des Spiels heraus bestimme ich ein Gruppen-Thema, das ich dann direkt mit dem „echten Leben“ vergleiche. Anfangs sind diese Gruppen-Themen sehr ressourcen-orientiert z.B. „Ich habe gesehen, dass zwei miteinander gespielt haben, hast du im echten Leben auch einen Freund oder eine Freundin, mit der du spielst?“
„Über das Gruppenspiel werden
die Probleme der Kinder
zugänglich und bearbeitbar.“
Im fortgeschrittenen Gruppenprozess werden emotionale und soziale Themen besprochen wie zum Beispiel Eifersucht zwischen Geschwistern, respektvoller Umgang miteinander oder auch Konflikte bis hin zu Krankheit und Tod beispielsweise eines Angehörigen. So werden die für die Kinder belastende Themen über das Spiel zugänglich und bearbeitbar. Im ersten Quartal greife ich aber bewusst Themen heraus, die stärkend wirken, also bei denen es um mögliche Ressourcen geht.
In einer weiteren Spieleinheit können die Kinder, wenn sie es wollen, dann auch noch Dinge ausprobieren, die davor besprochen wurden.
Kinderbüro: Hast du Tipps für Eltern, wenn es um das Spielen und die psychische Gesundheit ihrer Kinder geht?
„Kinder sollten in ihrer Spielfähigkeit
nicht überfordert werden!“
Monika Wicher: Wenn ein größeres Kind spielen möchte wie ein Kleinkind, dann sollte man es lassen. Es könnte durchaus sein, dass es sich selbst noch „nachnährt“. Es braucht dann auf dieser Entwicklungsstufe vielleicht noch etwas. Überforderung kann auch sein, wenn Kinder zu viel Spielzeug haben!
Wenn (gesunde) Kinder etwas Außergewöhnliches, Faszinierendes, aber auch Erschreckendes erleben, spielen Sie es nach, um es zu verarbeiten bzw. zu bewältigen. Nehmen wir an, die Rettung hatte einen Einsatz im Schulhof. Oft übernehmen die Kinder dann typische Ressourcen-Rollen z.B. die Ärztin, die geholfen hat, etc. So stärken sie sich spielerisch selbst, vor allem auch in herausfordernden Situationen.
„Kinder brauchen Zeit zum Spielen.“
Deshalb ist es so wichtig, den Kindern Zeit für Spiel zu ermöglichen – allein, aber auch mit anderen Kindern! Über andere Kinder gelangen sie im Spiel zu neuen Erkenntnissen, vor allem im Rollenspiel.
Monika Wicher arbeitet als Einzel- und Gruppenpsychotherapeutin und Supervisorin in freier Praxis. Sie ist Lehrtherapeutin für Psychodrama-Psychotherapie im Österreichischen Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG) und an der Donau-Universität Krems sowie Lehrtherapeutin der ÖAGG-Weiterbildung Psychodrama für Kinder und Jugendliche.
Lesen Sie im dritten Teil des Interviews wie es um die Versorgungslage in der Kinderpsychotherapie steht und welche Rolle der Humor spielt. Teil 3 folgt in Kürze.
Hier geht es zu Teil 1 des Interviews – die ersten Schritte in der Kinderpsychotherapie.
Interessante Links zum Thema:
- Infos zur Psychodrama-Psychotherapie: https://www.psychodrama-austria.at/psychodrama
- Österreichischer Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG): https://www.oeagg.at
- Säuglings-, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie: https://www.psychotherapie.at/oebvp/arbeitsbereiche/saeuglings-kinder-und-jugendpsychotherapie
Buchtipps:
- Gabriele Biegler-Vitek, Monika Wicher: „Psychodrama-Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen: Ein Handbuch“
- Gabriele Biegler-Vitek, Monika Wicher: „Theorie und Praxis der Psychodrama-Psychotherapie: In der Anwendung mit Eltern, Kindern und Jugendlichen“
- Hildegard Pruckner: „Das Spiel ist der Königsweg der Kinder“
Gestärkte Kinderrechte:
[1] Beim Symbolspiel stellt man sich vor, dass ein Gegenstand (Beispiel Stein) einen anderen Gegenstand darstellt (Beispiel Auto).
[2] Hilfs-Ich: Bezeichnung für die MitspielerInnen im Psychodrama. In der Kinderpsychotherapie sind dies Erwachsene, die die Kinder therapeutisch unterstützen, indem sie im Spiel diverse Rollen übernehmen.