
Kinderschutzkonzepte sind eine große Chance für Schulen und Kinder!
von HS-Prof.in Dipl.Päd.in Dr.in phil. Monika Gigerl, BEd MA, Pädagogische Hochschule Steiermark
Schulen sind Lebens- und Lernräume, für alle Kinder und alle Erwachsenen, die sich dort viele Stunden wöchentlich aufhalten. Umso wichtiger ist, dass diese Räume möglichst sicher und gewaltfrei sind. Ein Kinderschutzkonzept ist ein Instrument, um das Risiko für Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Organisationen zu minimieren. Dieser Beitrag beleuchtet die Themen Kinderschutz und Kinderschutzkonzepte im Kontext von Bildungseinrichtungen und zeigt auf, welche Potenziale sich durch diese für Schulen auftun.
Kinder haben ein Recht auf Schutz vor Gewalt
Die primäre Aufgabe von Schulen ist es, das Lernen sicherzustellen. Jedes Kind soll angstfrei gemäß den eigenen Begabungen lernen können und dabei gefördert werden. Die Rechte auf Förderung und Schutz sind in der UN-Kinderrechtekonvention festgelegt, Österreich hat sich mit der Unterzeichnung dieser Konvention zur Umsetzung verpflichtet (UN-KRK, 1989). Schulen haben als Lernorte somit die Aufgabe für alle Kinder den bestmöglichen Lernerfolg anzustreben, bei Kindern die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen zu fördern. Dazu gehört auch, dass Kindern die Kinder- und Menschenrechte als Wertekompass für ihre Zukunft mitgegeben werden. Wir, die Gesellschaft, brauchen auch in Zukunft jene Menschen, die sich an Werte wie Gerechtigkeit, Fairness, Verantwortung oder Gewaltfreiheit orientieren. Gelingendes Lernen (und Lehren) fußt auf der Grundlage wertschätzender gegenseitiger Beziehung, diese wird innerhalb eines lernförderlichen Schul- und Unterrichtsklimas sichtbar (Bildungsdirektion, 2020). Die Qualität der Beziehungen bestimmt über Motivation und Lernerfolg des einzelnen Kindes. Erfolgreiches Lernen ist in angstbesetzten Räumen nur schwer möglich.

Kinderschutz an österreichischen Schulen
Das Bildungsministerium setzt seit vielen Jahren Initiativen zur Verbesserung des Schul- und Unterrichtsklimas, die neue Verordnung zur Einführung der Kinder- und Jugendschutzkonzepte innerhalb der „Schulordnung 2024“ geht noch darüber hinaus (BMBWF, 2023).Festgelegt wird damit die Sensibilisierung aller Erwachsenen in Bezug auf Gewalt und die Implementierung von Schutzkonzepten an allen Schularten in Österreich. Schulen stehen in diesem Kontext vor zahlreichen Herausforderungen bei Intervention und Prävention von Gewalt an Kindern.
Schulen, also Erwachsene, die darin wirken, sollen Anzeichen für außerschulische Gewalt erkennen und bei Verdacht professionell zum Schutz der Kinder vorgehen. Durch die Institutionalisierung ist die Schule damit stellvertretend für die ganze Gesellschaft zur Wachsamkeit aufgerufen. Körperliche Gewalt, psychische Gewalt, Vernachlässigung und sexuelle Gewalt sind leider noch immer stark tabuisiert, hier können empathische, aufmerksame Erwachsene als wichtige Bezugspersonen für Kinder fungieren und für ihr gesundes Aufwachsen Mitverantwortung übernehmen.
Gewalt darf keinen Platz in der Schule haben!
Aber auch das Thema Gewalt im Schulhaus muss näher betrachtet werden: Laut Studien sind pädagogische Beziehungen zwischen Erwachsenen und Schüler*innen zu 20% ethisch bedenklich, zu 5% gibt es Verstöße und Übergriffe, die auch straf- und dienstrechtlich relevant sind (Prengel, 2014). Alle Erwachsenen im pädagogischen Arbeitsfeld sind daher aufgerufen, bei physischer, psychischer und sexualisierter/sexueller Gewalt von Erwachsenen zu handeln: Verspottung, lächerlich machen oder systematische Demotivation durch Pädagog*innen dürfen nicht toleriert werden. Die größte und häufigste Herausforderung an unseren Schulen ist jedoch die Gewalt der Kinder untereinander: etwa ein Drittel unserer Kinder wird regelmäßig Opfer von physischer und psychischer Gewalt, Mobbing und Cybermobbing, aber auch sexualisierter Gewalt. Kinder wünschen sich, dass Lehrkräfte hier öfter einschreiten, strengere Regeln formulieren und einfordern sowie mehr Projekte zum Thema Gewalt umsetzen. Schulen sollten gemäß der Schutzkonzepte ab der ersten Schulstufe altersgemäße Angebote in der Präventionsarbeit umsetzen: Kinder müssen erfahren, dass die Erwachsenen Gewalt an Kindern nicht tolerieren, dass für jedes einzelne Kind die Kinderrechtskonvention gültig ist oder dass sie sich bei Gewalt Hilfe holen dürfen. Auch wenn in der Steiermark die Nutzung von Mobiltelefonen in Schulen bald die Ausnahme sein wird: Gewalt und Beleidigungen durch digitale Medien und SocialMedia-Nutzung gilt es ebenfalls frühzeitig anzusprechen. Laut Ergebnissen der Kinder-Medien-Studie steht 79% der befragten Kinder ab 8 Jahren ein Smartphone zur Verfügung (EduGroup, 2024), gewaltfreie Nutzung von Social Media muss daher verpflichtend thematisiert werden.

Das Kinderschutzkonzept als Chance für Schulen
Die Erstellung und Implementierung der Kinderschutzkonzepte stellt eine große Chance für eine qualitätsvolle Schulentwicklung dar: Kinder ernst zu nehmen, blinde Flecken an der eigenen Schule zu entdecken, den partnerschaftlichen Umgang mit Kindern und Erziehungsberechtigten zu verbessern. Ein Kinderschutzkonzept ist ein Qualitätsmerkmal für eine Schule: Ein Signal nach innen und außen! Nach Innen gibt das Konzept die Möglichkeit für Abstimmungsgespräche im Kollegium und in den Klassen zu relevanten Verhaltensrichtlinien (für Erwachsene und Kinder), es gibt damit allen Pädagog*innen auch Sicherheit im Handeln, welches Verhalten von ihnen – auch in heiklen Situationen – erwünscht ist. Das Kinderschutzkonzept ist aber auch ein Qualitätssignal nach außen: Erziehungsberechtigte oder Gemeinden können an diesem Konzept ablesen (wenn es ehrlich gemeint ist und als Prozess ständig an der Weiterentwicklung gearbeitet wird), dass die Sicherheit für Kinder und das Lernen unter guten Rahmenbedingungen an dieser Schule ernst genommen werden. Schulleitungen, aber auch eigens eingesetzte Kinder- und Jugendschutzbeauftragte sorgen für die Umsetzung dieser Richtlinien.
Zu hoffen gilt, dass diese Kinderschutzkonzepte auch vom jeweiligen Regionalmanagement im Bildungsbereich als Chance begriffen werden, sie ermöglichen eine Weiterentwicklung der Schule zu einem sicheren Lebens- und Lernort, wenn sie nicht nach der Erstellung in der Schublade landen, sondern zumindest bei den Ziel-Leistungs-Gesprächen inhaltlich ehrlich darauf Bezug genommen wird. Sicherheit und Wohlbefinden im und rund ums Schulhaus sind die Basis für alle Kinder, die eigenen Potentiale und Stärken leben und weiterentwickeln zu können. Wenn Schulen das Lernen sicherstellen möchten, müssen sie auch den Kinderschutz ernst nehmen und bei Gewalt eine Stellungnahme abgeben: Wir akzeptieren nicht, dass Kinder unter Gewalt (durch Gleichaltrige oder durch Erwachsene) leiden!
Mehr Informationen finden Sie:
- Bildungsdirektion Steiermark (2020). Lernen. Lernerfolg – Lernschwierigkeiten.https://www.bildung-stmk.gv.at/dam/jcr:1be85a75-dbef-4ae5-99db-7ff978cc37f8/Broschuere-Lernen.pdf
- BMBWF (2023) – Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Schulordnung 2024 (BGBl. I Nr. 140/2023).
- EduGroup (2023). 8. Oö Jugend-Medien-Studie 2023. https://www.edugroup.at/innovation/forschung/jugend-medien-studie/detail/8-ooe-jugend-medien-studie-2023.html.
- Herrmann, B.; Dettmeyer, R.; Banaschak, S. & Thyen, U. (2022). Kindesmisshandlung: medizinische Diagnostik, Intervention und rechtliche Grundlagen. 4. Auflage, Berlin: Springer.
- Prengel, A. (2014). Kinderrechte in pädagogischen Beziehungen: Band 1: Praxiszugänge. Opladen, Berlin, Toronto: Budrich.
- UN-KRK (1989). UN-Kinderrechtskonvention. https://www.kinderhabenrechte.at/fileadmin/download/Kinderrechtskonvention_deutsch_langfassung.pdf
- Wallner, F. (2018). Mobbingprävention im Lebensraum Schule. ÖZEPS, Österreichisches Zentrum für Persönlichkeitsbildung und Soziales Lernen. https://www.schulpsychologie.at/fileadmin/user_upload/HR_Mobbing_ONLINE_ohne_Schnittmarken.pdf
Über die Autorin:
HS-Prof.in Dipl.Päd.in Dr.in phil. Monika Gigerl BEd MA: Lehrerin für Pflicht- und Sonderschulen (25 Dienstjahre); Hochschul-Professorin für sozialwissenschaftlichen Sachunterricht und Menschenrechtsbildung am Institut für Elementar- und Primarpädagogik der Pädagogischen Hochschule Steiermark; Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Sozialwissenschaftlicher Sachunterricht, Menschen- und Kinderrechtsbildung, Kinderschutz; Mitglied im Fachbeirat Transformative Bildung/Global Citizenship Education (UNESCO).
