Interview: Als Mutter und Lehrerin in chinesischer Quarantäne
Foto: Unterwegs im Compound – natürlich mit Maske © Silke Kicker
Die Steirerin lebt seit vier Jahren mit ihrem Mann und drei Kindern (Christopher 8 Jahre, Florentina 10 und Valentina 18 Jahre) in einem Compound in Peking, seit ihrer Rückkehr in Chinas Hauptstadt nach dem Chinese New Year-Urlaub am 10. Februar sind strenge Regeln in Kraft, die erst langsam Schritt für Schritt gelockert werden. Ihr Mann ist teilweise noch immer im Homeoffice, sie selbst unterrichtet zwei Klassen online. Ihre Kinder haben ebenfalls seit 12 Wochen Online-Unterricht. Nach wie vor sind Reisebeschränkungen im Land und Bewegungseinschränkungen in der Stadt in Kraft.
Wie ist eure aktuelle Situation, wie geht’s euch?
Uns geht’s gut. Wir haben nie Angst verspürt, wir hätten uns aber auch nie gedacht, dass das Virus überhaupt bis nach Österreich kommt.
Bezüglich der Bewegungsfreiheit haben wir hier in unserem großen Haus vermutlich viel mehr Möglichkeiten als Familien, die in einer kleinen Wohnung z. B. in Graz leben: In Peking sind alle Nachbarschaften in „Compounds“ unterteilt. Das sind im Grunde Gated Communities, also abgeschlossene Wohnviertel mit einem bewachten Eingang. Der Compound-Manager weiß, welche Leute rein- und rausgehen. Es wurden auch Passierscheine an die Familien verteilt, die mitzunehmen sind, wenn für bestimmte Tätigkeiten wie Einkäufe der Compound verlassen wird. Unterschiedliche Compounds handhaben die Regelungen aber unterschiedlich streng. Im Allgemeinen ist es in internationalen Compounds etwas leichter als in lokalen, in denen teilweise nur jeweils eine Person das Haus verlassen durfte.
Innerhalb des Compounds können wir uns gänzlich frei bewegen. Somit können die Kinder mit anderen Kindern spielen und wir auch Nachbar*innen treffen. Zusätzlich haben wir alle einen Garten. Nur Schwimmbad und Fitnessraum sind weiterhin geschlossen.
Mittlerweile kann man sich an öffentlichen Plätzen wieder frei bewegen, wenn man nach der Rückkehr nach Peking eine 2-wöchige Quarantäne eingehalten hat. Die allermeisten Restaurants und Geschäfte sind wieder geöffnet, auch ein Friseurbesuch ist schon wieder möglich.
Wie habt ihr die letzten Wochen bewältigt?
Was ihr auf eurer Facebookseite gleich zu Beginn beschrieben habt, dem kann ich nur beipflichten: Struktur ist sehr wichtig! Wir haben auch unseren Alltag von Beginn an strukturiert. Die Kinder haben ihre klar definierten Schulzeiten, und wir unsere Arbeitszeiten.
Valentina ist 18 Jahre alt, sie steht kurz vor dem Abschluss. Sie war natürlich gespannt, ob sie alle Prüfungen zeitgerecht absolvieren kann, aber sie hat sich sehr konsequent darauf vorbereitet. Dann wurde aber beschlossen, dass keine Prüfungen abgehalten werden und die bisher erbrachten Leistungen und auch ein im Jänner abgelegtes Vorexamen zur Notengebung herangezogen werden.
Florentina ist 11 Jahre alt, besucht die Sekundarstufe und ist sehr selbstständig. Sie kommt eigentlich nur zu uns Eltern, wenn sie Fragen hat. Christopher besucht die Volksschule und ist noch nicht ganz so selbständig. Er braucht mehr Unterstützung. Beide hatten über die letzten Wochen je eine Lernphase vormittags und eine nachmittags nach dem gemeinsamen Mittagessen.
Einmal pro Woche haben die Kinder in ihrem Schul-Klassenverband eine freiwillige Videokonferenz. Florentina mag diese Konferenzen sehr, Christopher eher nicht so gerne. Er sieht wenig Sinn darin. Das hat aber auch damit zu tun, dass seine Klassenkonferenz immer um 16:00 Uhr stattfindet – eine Zeit, zu der er eigentlich schon draußen spielt.
Seit einigen Tagen bietet unsere Schule nun täglich Online-Unterricht für die Fächer Mathematik, Englisch, Deutsch, Chinesisch und auch Topic (Sachkunde) an, hier werden neue Inhalte erklärt und bereits erste Aufgaben zum neuen Lernpaket miteinander durchgenommen. Diese Unterrichtseinheiten dauern 30 bis 60 Minuten, je nach Bedarf der Kinder und Zulauf.
Bei uns gibt es keine Diskussion über technische Geräte. Die Kinder arbeiten auf Tablets, diese wurden von der Schule zur Verfügung gestellt.
Ich selbst arbeite als Volksschullehrerin von zuhause aus und unterrichte im Online-Unterricht. Das funktioniert meistens sehr gut.
Wie sieht dein Arbeitsalltag als Lehrerin nun aus?
Ich halte es für sehr wichtig, zu den Schüler*innen und Eltern online Kontakt zu halten. Ich verwende dafür verschiedene Programme, in dieser Notfallsituation auch Wechat (ein Programm ähnlich wie WhatsApp). Die häufigste Frage der Kinder ist, wann die Schule wieder anfängt.
Der IB-Jahrgang („Maturaklasse“) darf seit 27.4. wieder in die Schule zurück. Das wurde so vorgegeben und dafür laufen die Hygienevorbereitungen auf Hochtouren. Kolleg*innen, die diesen Jahrgang unterrichten, werden bereits seit mehreren Tagen darauf vorbereitet. Für die Grundschüler*innen stehen die Chancen schlecht, noch in diesem Schuljahr wieder in die Schule zu kommen.
Ich erstelle wöchentliche Kurzvideos. Zum einem erkläre ich den Kindern, welcher Lernstoff sie in der jeweiligen Woche erwartet und was sie am Ende der Woche können werden. Ich merke an, was sie in der vorangegangenen Woche gut gemacht haben und wo sie sich noch verbessern können.
Zusätzlich sammle ich von den Kindern während der Woche zu einem bestimmten Wochenthema Fotos und mach daraus ein kurzes Video, welches ich dann an die Klasse schicke. So können sich die Kinder gegenseitig zeigen, was sie gemacht haben und alle Kinder sehen, wie es den anderen geht. Jede Woche gebe ich ein anderes Thema vor, wie zum Beispiel „Mein Arbeitsplatz”, „Ausflug”, „Bewegung” etc. Mittlerweile machen wir auch das live und die Kinder erzählen davon im Klassenchat.
Ich selbst unterrichte 45 Minuten und gebe dann jenen Schüler*innen, die keine weiteren Fragen haben, die Möglichkeit, den Call zu verlassen. Kinder, die noch Hilfe brauchen, hängen noch ein paar Minuten an.
Welche Veränderungen nimmst du seit der Quarantäne besonders wahr?
Früher waren wir den gesamten Tag außer Haus, jetzt sind wir alle zuhause und haben viel mehr Zeit miteinander. Wir gehen z.B. gemeinsam mit dem Hund Gassi, das haben wir früher selten gemacht. Die Kinder helfen im Haus mit und die Geschwister unterstützen sich gegenseitig bei den Aufgaben.
Innerhalb des Compounds haben wir neue Freundschaften geschlossen mit Eltern von den Freund*innen unserer Kinder. Wir haben eine regelmäßige Frühstücksrunde eingeführt, die wir ziemlich sicher so beibehalten werden.
Was wünschen sich die Kinder derzeit am meisten?
Die Kinder hatten Geburtstage und es gab keine Partys mit den Freund*innen, weil diese über andere Compounds oder über die ganze Welt verstreut sind. Wenn alles vorbei ist, feiern wir ein großes Fest.
Gibt es auch negative Entwicklungen, Dinge, die besonders fehlen?
Negativ ist, dass unsere älteste Tochter, die in Österreich studiert, nicht zu Besuch kommen konnte, um so wie geplant die Geburtstage ihrer Geschwister mitzufeiern. Das hat uns alle sehr traurig gemacht.
Worauf freust du dich am meisten in der Zeit nach der Krise?
Auf die Schule und darauf, meine Schulkinder wieder richtig unterrichten zu können. Schule ist so viel mehr als das, was derzeit möglich ist. Der direkte Kontakt mit den Kindern, das tägliche Gespräch, Kuscheleinheiten, all das fehlt mir sehr.
Auf die Frage, was Silke anderen Familien oder Lehrer*innen mitgeben möchte, haben sich zusammengefasst folgende Anregungen und Empfehlungen ergeben:
Tipps für Eltern
- Mutig bleiben
- Zeit mit der Familie so gut wie möglich genießen
- Situation annehmen, wie sie ist
- Kinder unterstützen, so gut sie können
- Erklären, dass sie arbeiten müssen
- Den Kindern die eigene Arbeit erklären
- Fixer Stundenplan mit kleinen Pausen
- Fixe und ordentliche Arbeitsplätze
- Wenn es mit dem Lernen nicht klappt, Lehrer*innen um Unterstützung bitten.
- Wenn die Lernzeit vorbei ist, sollen die Kinder nach Möglichkeit ins Freie, Sport machen, weg von Computer oder Tablet
Tipps für Lehrer*innen
- Daran glauben, dass sie es schaffen
- Eltern so gut wie möglich unterstützen
- Für die Kinder und die Eltern gut erreichbar sein
- Kleine Lernportionen
- Regelmäßige Zuschrift via E-Mail (an Kinder und Eltern)
- Kontakt via WhatsApp (für mich passt das, weil es eine Ausnahmesituation ist; das passt aber nicht für jede Lehrerin, jeden Lehrer)
- Geschichten online vorlesen (Tipp: Franz-Geschichten von Christine Nöstlinger)
- Arbeitsplatz: Listen anlegen, was bereits erledigt wurde
- Erinnerungen versenden, was noch zu erledigen ist, aber auch akzeptieren, wenn mal etwas nicht gemacht werden konnte, weil die Umstände schwierig sind
- Videobotschaft erstellen: “Was erwartet euch in der kommenden Woche?“
- Feedback einholen: Was funktioniert gut und was weniger, wo soll nachgebessert werden
- Notizen machen, wo die Kinder wirklich stehen
Gestärkte Kinderrechte:
Lesen Sie auch unseren Blogbeitrag zum Thema Struktur im Home Schooling: „Kinder brauchen einen Rahmen zum Lernen und Üben.“