Gastbeitrag: Geöffnete Betreuungseinrichtungen für Kinder mit Behinderung? Ja, zu Recht!

Zu Beginn der Krise verfolgte ich noch eifrig verschiedene Kanäle auf den Social Media-Plattformen ‒ und war so mutig auch die Kommentare dazu zu lesen. Milde ausgedrückt, war ich sehr verwundert: Viele brüskierten sich darüber, dass die Einrichtungen für Menschen mit Behinderung offenbleiben. Die meisten wissen wohl wenig darüber, wie es ist ein Kind mit Behinderung groß zu ziehen. Zudem betrifft es auch viele erwachsene Menschen mit Behinderung. Viele haben ja selbst gar keine Angehörigen mehr!

Was es bedeutet, ein Kind mit Behinderung zu betreuen

Viele Symptome und Ausprägungen der Behinderung wie Hyperaktivität, stereotypes Verhalten, gestörte Schlafrhythmen etc. verstärken sich in dieser Ausnahmesituation. Vieles ist auf kognitiver Ebene nicht erklärbar. Es bleiben Verwirrung und Unsicherheit.

So verschieden die unterschiedlichen Behinderungen, Ausprägungsformen und Bedürfnisse sind, so verschieden werden wir wohl auch diese Wochen erleben. Von einigen Mitstreiter*innen habe ich schon gehört, dass das Wegfallen der täglichen Routinen für die Kinder sehr schwer zu verstehen und auszuhalten ist.

Viele Eltern sind höchst besorgt, da ihr Kind aufgrund seiner körperlichen Verfassung und bisherigen Operationen und Vorgeschichten zur Hochrisikogruppe zählt, und es bleibt die Unsicherheit wie es überhaupt mit dem Virus weitergeht. Es kommt auch das Gefühl der Angst um das Kind dazu.

Für Eltern mit Kindern ohne Behinderung ist der momentane Alltag sicherlich auch fordernd bzw. überfordernd. Home Office und Home Schooling zu vereinbaren ist kräfteraubend. Kinder mit Behinderung fallen bei Stress jedoch schnell in ein Verhalten, das nicht mit Argumenten, Hinweis auf die Regeln oder sonst irgendwie auf rationaler Ebene beeinflussbar wäre.

Vermutlich brüllen Eltern auch mal los, wenn der Geduldsfaden reißt. Und die Kinder schreien zurück. Und nach einiger Zeit beruhigen sich alle wieder. Aber ein Kind ohne Sprache, das nicht versteht was los ist, schreit vielleicht im wahrsten Sinne des Wortes, und wir können es nur in den Arm nehmen und versuchen zu trösten.

Die aktuelle Situation zeigt mir, wie dringend wir Familien mit Kindern mit Behinderung Unterstützung im Alltag brauchen und ich bin froh zu wissen, dass wir auch in dieser Krise darauf zurückgreifen könnten.

Eigene Belastungsgrenzen ausreizen

Die Schule meiner Tochter hat zu und wir haben uns vorerst gegen die Nachmittagsbetreuung in der Einrichtung entschieden. Aber jetzt, 24 Stunden am Tage zusammen sein fordert unsere Belastungsgrenzen aufs Neue. Auch meiner Tochter fehlen die Aspekte ihres gewohnten Alltags. Sie vermisst ihre sozialen Kontakte ganz besonders. Leider kann sie selbst nicht lesen, also Bücher sind kein Trost. Und auch ihre Sprache reicht für ein Videotelefonat nicht aus. Was bleibt hier noch?

Ob wir nach Ostern die Betreuung für unsere Tochter wieder beanspruchen? Wir werden es entsprechend den offiziellen Empfehlungen, mit bestem Wissen und Gewissen immer zum Wohle des Kindes und entsprechend der Ausreizung unserer Belastungsgrenzen entscheiden.

Was ich klarstellen möchte

Ja, wir legen Wert darauf, dass Menschen mit Behinderungen wie Menschen wie du und ich gesehen werden!
Ja, wir wollen, dass unsere Kinder gleichwertig am Leben teilhaben können!
Ja, wir fordern eine gleichwertige Stellung unserer Kinder trotz ihrer Behinderung!
Ja, wir sehen so viele Talente in ihnen und ja wir lieben sie uneingeschränkt!

Interessante Links:

Gestärkte Kinderrechte: