Gastbeitrag: Das Corona-Virus und die Chance für unser Bildungssystem – Teil 2

Foto © Sigrid Wozonig

“BLENDED LEARNING”

Videokonferenzen als synchrone Kommunikationskanäle, diachrone Unterrichtsszenarien über Online-Plattformen, größere Anteile offener Lern- und Arbeitsformen, stärkere Fokussierung des Präsenzunterrichts auf Interaktion bei gleichzeitiger Verstärkung digitaler Aufgabenformate im Bereich von Instruktion und Übung. Schule, die selbstständiges, selbstgesteuertes Lernen ermöglicht und dabei auf die Möglichkeiten digitaler Medien setzt.

Der Fokus soll und darf definitiv nicht auf einseitigem E-Learning liegen, sondern muss die Vorteile von Präsenzphasen und E-Learning so miteinander kombinieren, dass die jeweiligen Vorteile verstärkt und die Nachteile kompensiert werden.

Ein Mix aus Lernen in der Schule und Lernen online

Die Vorzüge beider Systeme zusammenzuführen, zu einer erfolgsversprechenden Mischung aus Präsenz- und Online-Unterricht. Blended learning lautet das Zauberwort. Die Effektivität und Flexibilität von elektronischen Lernformen werden dabei mit den sozialen Aspekten der Face-to-Face-Kommunikation sowie dem praktischen Lernen von Tätigkeiten verbunden. Verschiedene Lernmethoden, Medien sowie lerntheoretische Ausrichtungen werden miteinander kombiniert. Dabei gilt es aber, alte Fehler zu vermeiden. Auch unter digitalen Bedingungen darf nicht dieselbe Einseitigkeit gefördert werden, an der bereits der Frontalunterricht scheiterte.

In den E-Learning-Phasen soll das individuelle Lernen in Bezug auf Lerntempo, Zeit, Ort mit der Möglichkeit eigene inhaltliche Schwerpunkte setzen zu können im Mittelpunkt stehen. Ebenso gilt es, die Möglichkeit digitaler Medien zu nutzen, unterschiedliche Zugangsweisen (Text, Video, Audio) in den Lernprozess zu integrieren. So können SchülerInnen eigene Zugänge und Lernwege zu Themen wählen. Über kollaborative Formate und gemeinsame Aufgabenstellungen können SchülerInnen auch in digitalen Lernumgebungen gemeinsam arbeiten.

Beim Präsenzunterricht im Klassenzimmer gilt es, die instruktiven Phasen, die Zeiten des LehrerInnenvortrags zu reduzieren, und die gewonnene Zeit für eine verbesserte LeherInnen-SchülerInnen-Beziehung zu nutzen. Die soziale Interaktion zwischen LehrerInnen und SchülerInnen muss im Mittelpunkt stehen, weil sie von zentraler Bedeutung für den Lernprozess ist. Unterricht muss den Raum bieten sich auszutauschen, gemeinsam mit anderen weiterzuarbeiten, Lernprozesse zu reflektieren und Themen zu diskutieren. Kooperatives Arbeiten, Kommunikation sowie soziales Lernen sind pädagogische Werte, die die Planung von Präsenzunterricht prägen müssen und einen wesentlichen Wert für echte Bildung darstellen.

“Flippen” – etwas umdrehen

Blended Learning umfasst verschiedene Modelle. Flex-Modell, Stationen-Modell, Selbstkombinierungs-Modell, erweitertes virtuelles Modell und auch Flipped Classroom. „To flip something” bedeutet im Englischen „etwas umdrehen“. Das, was sonst im Unterricht stattfindet – häufig das Erklären und Vorstellen neuer Inhalte – soll nach Hause, in die Vorbereitungszeit der SchülerInnen verlagert werden. Das, was im Unterricht sehr oft zu viel zu kurz kommt, nämlich die Vertiefung, die Übung und die Auseinandersetzung der SchülerInnen mit den Inhalten, soll dort stattfinden, wo auch LehrerInnen da sind, um dies zu begleiten. Mit „Flippen“ ist also gemeint, mehr Raum für (interaktive) Zusammenarbeit mit den SchülerInnen zu schaffen und die klassischen Erklärphasen aus dem Frontalunterricht in das Selbststudium zu verlagern.

Die LehrerInnen entscheiden, welche Inhalte in der Selbstlernphase vermittelt werden, und wie viel Zeit die SchülerInnen investieren sollen. Die Videos und/oder Audios für das Selbststudium können von den LehrerInnen selbst erstellt werden, beispielsweise in Form einer klassischen Einführung in das Thema, bei dem dieser Teil einer Unterrichtssequenz aufgezeichnet wird. Die Videos und/oder Audios können aber ebenso eine Sammlung von ausgewählten Multimedia-Dokumenten sein, die von den LehrerInnen zu einem konkreten Thema aus frei verfügbaren Materialien zusammengestellt werden. In der Regel ist es für SchülerInnen einfacher, wenn zusätzlich zum Material auch Leitfragen gegeben werden, damit sie wissen, worauf sie achten sollen. Grundsätzlich gilt es, eine Überforderung der Schülerinnen zu vermeiden.

Präsenzunterricht zur Vertiefung

Im Unterricht findet dann keine inhaltliche Einführung mehr statt, sondern es werden nur noch Verständnisfragen geklärt. Der Fokus liegt hier auf der Vertiefung der Inhalte und der praktischen Umsetzung. Die SchülerInnen erhalten dazu Arbeitsaufträge. Sie können dann allein oder in Gruppen Lösungen erarbeiten und diese dann im Plenum besprechen. Die LehrerInnen begleiten die Arbeitsphasen durch individuelle Beratung. An Hand von Fallbeispielen (Transferübungen) entwickeln die SchülerInnen Lösungsszenarien, stellen diese vor und diskutieren diese gemeinsam. Darüber hinaus ist es mit dieser Methode nun auch möglich, dass die SchülerInnen während des Unterrichts zeitlich aufwendigere Anwendungen durchführen können, für die ansonsten zu wenig Raum ist.

Selbstständige Vorbereitungsphasen stellen natürlich hohe Anforderungen an die Selbstdisziplin der SchülerInnen. Wirklich erfolgreich können diese Konzepte daher nur dann sein, wenn die SchülerInnen sich auch tatsächlich vorher vorbereiten. Auch das muss gelernt werden. Die wichtigste Aufgabe der LehrerInnen ist daher, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

Erstellt am 03.07.2020

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