Gastbeitrag: Corona-Pandemie, Lockdown, Terror – Kindheit in krisenhaften Zeiten

Erstellt am 11.11.2020

Gewalt und Terror beherrschen aktuell die Nachrichten und erreichen durch Radio, Fernsehen und Internet sowie Gespräche der Erwachsenen die Kinderzimmer. Daneben ist die Corona-Krise allgegenwärtig: Maskenpflicht, Abstandhalten, Händedesinfektion, Einschränkung sozialer Kontakte, Distance Learning, das Nichtstattfinden von Schulveranstaltungen, Festen, Feiern uvm.

Viele stellen sich aufgrund dieser Ereignisse natürlich zu Recht die Frage: Wie wird die Kinderseele damit fertig. Wie soll man mit den Kindern in dieser schwierigen Zeit umgehen? Wie Ihnen diese schwierigen Themen erklären?

Die Bedeutung der Bezugspersonen


Wie unsere Kinder durch solche unsicheren Zeiten kommen hängt stark davon ab, wie wir als Bezugspersonen (Eltern, Großeltern, Pädagogen) auf derartige Ereignisse reagieren. Kinder suchen in diesen schwierigen Zeiten besonders die Nähe zu ihren Bindungspersonen. Wenn Eltern selbst sehr große Angst haben, sehr unsicher sind und unter starkem Stress stehen, überträgt sich das auch auf die Kinder, welche dadurch schlussendlich auch gestresster reagieren (emotionale Ansteckung). Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, dass Eltern oder andere Bezugspersonen in der Nähe der Kinder nicht in Panik verfallen, sondern ruhig und sachlich auf die Kinder einwirken.

Aufklärung


Oft sind die Erwachsenen der Ansicht, dass es für die Kinder besser ist, wenn sie von diesen ganzen Dingen erst gar nichts erfahren und versuchen die Wahrheit zu verschweigen oder zu beschönigen. Damit tut man den Kindern aber erst recht nichts Gutes, denn sie spüren, wenn etwas „in der Luft liegt“ oder bekommen Bruchstücke aus den Medien mit. Aus diesem Halbwissen können diffuse Ängste oder Phantasien bei den Kindern entstehen, die oftmals schlimmer als die Wahrheit sind. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, Kinder über die Fakten zu informieren und Kinder bei Fragen, nicht mit der Antwort „dafür bist du noch zu jung“ abzuspeisen.

Die Aufklärung der Kinder muss dabei stets altersgerecht erfolgen. Jüngere Kinder benötigen natürlich eine andere Art von Aufklärung als ältere Kinder und Jugendliche, die schon über ein gewisses Vorwissen verfügen.

Prinzipiell gilt die Faustregel, den Kindern immer so viel zu erklären, wie sie aktuell wissen möchten. Eine Tatsache, die sich theoretisch recht einfach anhört, aber dennoch ein gewisses Fingerspitzengefühl der Eltern verlangt. In der Diskussion mit dem Kind sollte man nicht nur auf die richtige Wortwahl achten, sondern soll das Kind auch nicht mit zu viel Information (sprich Information, welche es gar nicht wollte) überfordern oder eben mit zu wenig Information (durch Abtun von Fragen) stehen lassen.

Wenn mein Kind mit schwierigen Fragen zu mir kommt, handhabe ich es selbst daher oft so, dass ich nicht direkt in das Gespräch mit dem Kind eintrete. Vielmehr bitte ich erstmals um eine kurze Bedenkzeit („Das ist eine schwierige Frage. Ich muss zuerst kurz darüber nachdenken, wie ich dir das am besten erkläre.“). So kann ich mir meine Antworten in Ruhe überlegen und das Gespräch in Gedanken schon einmal durchspielen. Das hilft mir dabei Wörter zu wählen, die mein Kind nicht verängstigen oder ein Vokabular zu verwenden, was erst recht noch mehr Fragen aufwirft. Um in Bezug auf den Terroranschlag ein Beispiel zu nennen, werde ich zu einem jüngeren Kind nicht sagen: „In Wien gab es einen Terroranschlag“ sondern erklären, dass „in Wien ein Mann geschossen hat.“

Wesentlich ist es also dem Kind die Fakten in kindgerechter und altersadäquater Sprache zu erklären und die Sache weder zu katastrophisieren noch zu bagatellisieren. Zudem soll man versuchen, dem Kind ein Stück Sicherheit zu geben. In Bezug auf den Terroranschlag: Was wird getan um die Situation zu klären? „Die Polizei macht gerade ihre Arbeit und sucht den Verdächtigen“. Oder um uns vor dem Virus zu schützen, tragen wir Maske, desinfizieren uns die Hände und wir halten Abstand.

Außerdem ist es wichtig, dem Kind immer die Gewissheit zu vermitteln, dass es jederzeit kommen kann, wenn es weitere Fragen hat.

Umgang mit Stress


Wie Eltern mit der Situation umgehen, hängt natürlich auch stark von ihrer persönlichen Betroffenheit ab. Im Falle des Terroranschlages: Kenne ich jemanden, der verwundet oder gar getötet wurde, wo wohne ich, bin ich generell ein ängstlicher Mensch? Im Falle von Covid-19: Bin ich vielleicht selbst Risikopatient_in, kenne ich Risikopatient_innen in meinem persönlichen Umfeld, habe ich finanzielle Sorgen, habe ich meine Arbeit verloren uvm.

Diese Tatsachen wirken sich natürlich auf das individuelle Stresserleben der Erwachsenen aus und beeinflussen, wie man die Situation meistert. Aus diesem Grunde ist es unglaublich wichtig, dass sich die Erwachsenen selbst beruhigen bzw. entspannen können. Andernfalls können sie ihren Kindern kein stabiles Gegenüber sein und auf die Kinder nicht beruhigend einwirken.

Was können die Erwachsenen daher tun, um selber besser durch die Krise zu kommen:

  • Abstand gewinnen: alleine spazieren gehen, durchatmen, ein Bad nehmen, …
  • Den Tag strukturieren: vor allem im Zeiten des Home Office und des Distance Learning hilft dies allen Familienmitgliedern ungemein
  • Sich nicht ständig Informationen einholen (zB über das Handy): Das kann immer wieder in Alarmbereitschaft versetzen; es ist besser fixe Zeiten festzusetzen, in denen man sich Informationen einholt
  • Entspannungsverfahren (Mediation, Yoga) anwenden
  • Keine zu hohen Ansprüche haben: Homeoffice, Kinderbetreuung, Lernen mit den Kindern und Haushalt wird nicht zu 100 % funktionieren
  • Liebegewonnene Routinen und Rituale beibehalten: Diese geben Sicherheit und ein Gefühl von Geborgenheit. Eventuell neue, schöne Rituale wie Vorlesezeiten, Kuschelzeiten etablieren

Hilfe holen

Wenn man als Erwachsene/r selbst merkt, dass das eigene Stresserleben oder die Ängste zu groß werden, oder man Unterstützung bei der Erklärung der Situation mit den Kindern benötigt, sollte man nicht zögern sich professionelle Hilfe zu holen.

Kinder und Jugendliche zeigen häufig durch eine Veränderung ihres Verhaltens, dass sie mit der Situation überfordert sind. Vermehrte Unruhe, aggressives Verhalten, Konzentrationsprobleme, vermehrte Suche nach Nähe zu den Bezugspersonen, Rückzug und ängstliches/depressives Verhalten können einige der Verhaltensänderungen bei Kindern und Jugendlichen sein. Hilfe kann man unter anderem bei psychosozialen Diensten, Rat auf Draht oder den Kinderschutzzentren finden.

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Erstellt am 11.11.2020

Gestärkte Kinderrechte: